Erschienen in Lokalgeschichte Ottensen/Herausgeber Stadtteilarchiv Ottensen

Das "Wohnzimmer“ zwischen Orient und Okzident

Einwanderung und griechische Taverne im Kontext

Die vielen klingenden Namen sind uns ja richtig ans Herz gewachsen: Kypros, Kreta, Olympos, Marathon und wie sie sonst noch heißen mögen: Griechische Tavernen stehen symbolisch für Urlaubserinnerungen. Ob Kypros indes auch zypriotische Spezialitäten anbietet, mag bezweifelt werden - das gleiche gilt für die meisten hiesigen Tavernen, die sich auf heimatliche Gegenden beziehen. Schade. Denn eigentlich bietet unser südöstlicher Nachbar ein sehr vielfältiges regionales Speisen-Angebot, bedingt durch unterschiedliche klimatische Bedingungen.

Hier zu Lande jedoch ist eine Tendenz zu Gleichförmigkeit und einer gewissen Anpassung unübersehbar ­ sowohl auf der Speisekarte, als auch in Sachen Raumgestaltung: Da überwiegen die Farben blau und weiß, ein Akropolis-Bild hängt an der Wand, und auf Kalenderblättern wetteifern strahlend weiße Kapellen mit den Schaumkronen im türkis-blauen Meer. Eine einprägsame Urlaubsidylle. Aber: Was ist echt ­ was plakativ und Folklore? Das Geheimnis herauszufinden, soll hier nicht das Ziel sein. Es geht vielmehr um die Annäherung an gewisse deutsch-griechische oder griechisch-deutsche Phänomene, sozusagen um symbiotische Erscheinungsbilder. Ich hatte nämlich das Glück, im schönen Lande selbst ein paar Jahre verbringen zu dürfen, so dass ich manche Dinge zwangsläufig mit anderen und zuweilen kritischen Augen sehe.

Bleiben wir also zunächst beim Essen, denn was bestellt sich der deutsche Gast bei "seinem“ Griechen? Da offenbart sich beim Schielen auf die Nachbarteller, dass Türme von Fleischmassen und Gyros überwiegen. Und immer wieder Krautsalat als Beilage, der in Griechenland selber so gut wie nie auf den Tisch kommt ­ außer im nördlichen Teil des Landes. Inzwischen gibt es auch das auf der Speisekarte, was Griechen eigentlich gar nicht kennen: Sahnesaucen.

Diese schräge Mixtur aus griechischer Sicht und Sehnsucht, angereichert mit deutschen Urlaubserinnerungen, einer Prise "Lindenstraße“ und geschmacklichen Zugeständnissen an den Norden ­ das alles ergibt eigenartige Impressionen und Gaumenerlebnisse. Soweit zunächst die oberflächliche Betrachtung der Dinge. Wer den Film "Big Fat Greek Wedding“ ­ zum Thema Griechen in Amerika ­ gesehen hat, wird alle jene Aspekte in ihrer komischen Überspitzung kennen gelernt haben. So scheint sich sowohl den Exil-Hellenen als auch uns ein ähnliches Griechenland-Bild eingeprägt zu haben.

Griechische Diaspora

"Auf der Suche nach den eigenen Wurzeln“ könnte diese Sehnsucht auch genannt werden, denn seit Jahrzehnten wanderten Griechen aus; sie haben ihr schönes Land in den Bürgerkriegswirren nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen und häufig aus daraus folgender Finanznot. Drei solcher Auswanderungswellen habe es im letzten Jahrhundert gegeben, erzählt Niko Vousvoukis, ein Attaché des hiesigen griechischen Konsulats, was auch eine Landsmännin und Soziologin, die seit über dreißig Jahren in Deutschland lebt, bestätigt. Der politische Emigrant Sotiris, ein Tavernenwirt in Ottensen, soll dazu später seine beispielhafte Geschichte erzählen.

Was die Emigrantenwellen anbelangt, so schwappte die erste nach Amerika, in den fünfziger und sechziger Jahren nach Australien und Afrika, ein paar Jahre später zog es griechische Auswanderer nach Deutschland. Darunter viele Menschen aus landwirtschaftlichen Gebieten, denn auch die Arbeit im Norden und in der Mitte des Landes konnte viele Familien nicht mehr ernähren. Schließlich wurden sie auch ab 1961 durch das bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und Griechenland angelockt; man kam zielstrebig zum Arbeiten her, was von der griechischen Regierung sogar erwünscht war: Devisen kamen ins Land, die auch die Daheimgebliebenen von ferne unterstützten.

In Sachen Arbeitsplätze ­ viele Griechen arbeiteten in Fischräuchereien und Fabriken ­ sprach die deutsche Regierung dann 1973 ein Stopp aus. Also kam nur ins Land, wer selbständig arbeiten wollte und konnte. All die kleinen Änderungsschneidereien und Tavernen waren die Folge; aber manche Selbständigkeit wurde auch mit dem mühsam ersparten Geld aus schwerer Fabrikarbeit finanziert. Die Anzahl griechischer Tavernen verdreifachte sich besonders nach dem EG-Beitritt im Jahre 1981, um etwa fünf Jahre später zu stagnieren.

Manche der Älteren kehrten zurück, um sich mit der Rente oder dem ausgezahlten Arbeitnehmeranteil eine neue Existenz in der Heimat aufzubauen. Viele Einwanderer jedoch sind geblieben und leben hier nach harter Arbeit inzwischen als Rentner, die mit hiesiger sozialer Absicherung besser zu leben scheinen als in der Heimat. Ihre Kinder sind hier geboren, und daheim haben sie keine sozialen Kontakte mehr. Vielleicht sind die Tavernen schon an die Erben weitergegeben, die sich inzwischen akklimatisiert und integriert haben.

Männersache Fleisch

Da also viele Griechen aus Nord- und Zentralgriechenland nach Deutschland kamen, haben sie natürlich auch das auf der Speisekarte, was bei ihnen daheim hohes Ansehen genießt: Fleisch. Vielerorts ist es dort ­ genau wie bei uns ­ noch immer eine Art Statussymbol, auch als Folge von Kriegs- und Krisenzeiten. Wenn aber Griechen auswärts speisen, dann steht der Fleischteller ­ anders als bei uns ­ in der Mitte, damit nämlich jeder einer "parea“­ einer Clique ­ hineinpicken kann zu Wein, Ouzo, Bier. Es ist ein kleines gesellschaftliches Ereignis.

Häufig ist ja Fleisch auch "Männersache“. Man beobachte doch nur mal all die Grillgelage im Freien ­ hier wie dort steht ein Mann am Rost und wendet das Grillgut oder dreht das Lamm. Auf das eher gleichförmige fleischhaltige Repertoire von griechischen Tavernen angesprochen, erklärt Sotiris auch aus eigener Erfahrung, "dass man als Neuankömmling das arbeiten musste, was man konnte“, also Wirt und Koch wurde, wobei die wenigsten Emigranten Erfahrungen als Schiffskoch mitbrachten. Aber auch in der Heimat entwickelte sich das gute alte "Kafenion“, eine Art Café-Kneipe, häufig aus so etwas wie einem "verlängerten Wohnzimmer“, wurde Dorfmittelpunkt und Männerdomäne. Eine gewisse Unbekümmertheit also ­ verbunden mit Mut zur Improvisation ­ scheint irgendwie ein Teil griechischer Mentalität zu sein und gerade das macht auch den Charme griechischer Tavernen aus.

Frei nach Fellini

Stichwort Unbekümmertheit. Die ist uns Nordlichtern ja ziemlich fremd und kann bei Hellenen in manchem Zusammenhang beobachtet werden. Besonders auch beim Essengehen ­ und gerade am Sonntagmittag ­ in der parea oder Großfamilie. "Live“ erlebt, sieht solche Szene etwa so aus: Zunächst beraten zehn bis fünfzehn Personen lautstark, was wer essen möchte. Dann wird der Küchenchef nach seinen Empfehlungen gefragt. Schließlich geht’s mit zwei bis drei Personen und prüfendem Blick in die Küche und an die Kühlvitrine; wie frisch ist der Fisch, wie sieht das Ofenlamm aus ? Dann werden unglaubliche Mengen bestellt, und der Ober schleppt unzählige kleine Teller mit "Mesedes“, also Vorspeisen, heran und stellt Salate, Brot, Oliven auf den Tisch. Jeder greift zu, nimmt von allem, trinkt vielleicht einen milchig aussehenden Ouzo als Aperitif, der wie der französische Anisschnaps mit Wasser verdünnt wird ­ oder Retsina, Wein und Bier. Dann kommt auch bald eine riesige Anzahl von Hauptspeisen auf vielen Tellern und Platten. Fischsuppe ist etwas Kostbares, Zicklein aus dem Ofen sehr zart, Makrele wird gegrillt serviert ­ mit Oregano und Zitrone. Nix von wegen Gyros und Krautsalat, das nämlich gilt ­ genauso wie Souvlaki ­ als Imbiss oder Fast Food und wird auf der Straße aus der Hand verzehrt.

Zurück zur Großfamilie, Freundesclique, parea, die nun genießerisch speist und erzählt, unterbrochen von lautem Gelächter, derweil wuseln und spielen, rennen und hüpfen die Kinder herum. Zum Schluss wird aus vollem Halse gesungen, andere Gäste von Nachbartischen stimmen mit ein. Kurz: Unbekümmerte Lebensfreude pur. Das Bezahlen der Rechnung jedoch ist Ehrensache, wer das also übernimmt, darüber wird meist heftig und ausgiebig in glühender Mittagssonne diskutiert. Vielleicht spendiert der Küchenchef noch etwas Sirupsüßes oder einen Schnaps aus eigener Herstellung ­ dann ruft der Nachmittagsschlaf. Der Beobachter mag sich an Filmszenen eines Fellini erinnert fühlen, etwa an "Mamma Roma“ ­ hier fehlt eigentlich nur noch die ganz nah vorbeifahrende Straßenbahn, die im römischen Original den Gästen fast die "Spaghetten“ abschneidet. Eine mediterrane Impression, die durchaus auch auf die Hellenen zutreffen könnte ­ hier vielleicht noch eine Spur kontrastreicher gemalt.

Das sieht hier zu Lande anders aus, wo ein Gast den griechischen Wirt selten nach der Frische oder gar einer Spezialität des Hauses fragt. "Der Bauer isst“ bekanntlich nur, »was er kennt« ­ also neben besagtem Grillteller den Bauernsalat. Ein Phänomen ­ hier wie dort. Man belausche zum Thema Essen einmal deutsche Stimmen auf einem griechischen Flughafen: Besonders jener preisgünstige Salat mit Schafskäse wird von Urlaubsrückkehrern gerühmt als gäbe es nix Anderes.

Nostalgie, Wurzeln und Risiko

Im idyllischen Hinterhof seiner Taverne "Nostalgia“ erzählt nun Sotiris seine Geschichte. Natürlich sitzen wir auf blauen Bänken. Seinen schönen Namen Sotiris, der Retter bedeutet, scheint er zu Recht zu tragen, er will nämlich tatsächlich etwas retten: seine griechischen Wurzeln. Denn er wurde als Kind griechischer Partisanen in Ungarn in der griechischen Kolonie "Belojanis“ geboren, während die Geschwister ­ wie viele andere Kinder ­ bereits von der kommunistischen Partisanen-Führung eingesammelt und nach Rumänien gebracht worden waren. Dort sollte auch Sotiris ein paar Jahre später seine Kindheit verleben. All das ereignete sich während der amerikanischen und englischen Besetzung in den Fünfziger Jahren. Aus seiner erträumten Rückkehr nach Griechenland ­ ihr Dorf in Makedonien gab es auch nicht mehr ­ wurde dann doch nichts, denn inzwischen war die Junta an die Macht gekommen. Und so "kam ich mit zweiundzwanzig Jahren als Ungeklärter nach Deutschland und musste vier Jahre auf meine griechische Staatsangehörigkeit warten.“

Seine ersten gastronomischen Erfahrungen machte er bei "Rigas Fereos“, einem der ersten Hamburger "Kultgriechen“ , der etwas unterirdisch im "Karoviertel“ residierte und in der linken Szene beliebt war. Frequentiert von Hippies und jungen Leuten, die gerne mit wenig Geld in der Tasche und dem Rucksack auf dem Rücken über griechische Inseln hüpften. Inselhopping hieß das ja damals, was besonders wegen der sprichwörtlichen griechischen Gastfreundschaft beliebt war. Man kampierte vielleicht beim Bauern auf dem Felde und wurde zum Frühstück auch noch mit Feigen und Orangen bedacht ­ Liebenswürdigkeit und Großzügigkeit pur.

Sotiris also ließ dann die Karo-Szene hinter sich, um im nahen Ottensen genauso "hilfsbereite, solidarische Menschen“ zu finden. Anno 1978 eröffnete er hier sein eigenes "Sotiris“ in der Straße "Bei der Reitbahn“. In der griechischen Heimat war zwar die Zeit der Militärdiktatur inzwischen beendet, aber "alles war schwieriger als in Deutschland“, sagt er.

Nach einigen Hin- und Herreisen machte er dann in den achtziger Jahren das "Irini“ in der Friedensallee auf, und ab 1992 gab es in der Barnerstraße das Sotiris Nummer zwei. Auch hier war das einfache, bodenständige Ambiente beliebt und Symbol. Bei der Gestaltung halfen Ottenser Künstler und Gäste, die er auf dem "Kemal“ kennengelernt hatte. Zum besseren Verständnis für Neuottenser, war der damals noch nicht zugebaute Kemal-Altun-Platz so etwas wie ein gesellschaftliches Sinnbild, weil er das Ottensen-Gemisch aus Punks, Bürgern, Bauwagenbewohnern und Künstlern widerspiegelte, die hier gemeinsam Freizeit verbrachten, etwa mit Musik und Volleyball ­ aber ohne Berührungsängste.

Irgendwann ging Sotiris dann wieder auf die Suche nach Geburtsort, Geschwistern und Heimat, um vor etwa zwei Jahren aus Rumänien zurück zu kommen.

Früher wunderte sich Sohnemann Vasilis, wenn der Vater plötzlich mit Anderen rumänisch sprach, bis ihm der alleinerziehende Sotiris von seiner Wurzellosigkeit erzählte. Mit "Nostalgia“ will er nun für seinen Sohn eine Wurzel in Form einer Taverne eingraben ­ sehr beziehungsreich also. Sitz in der Eulenstraße, dort, wo früher das "Kleine Café“ in den Achtzigern dicke Hausmacherkuchen anbot, die vor der Nase der Gäste aus dem Ofen geholt wurden.

In Griechenland wünscht man beim Einzug oder bei Geschäftsbeginn: "Kalo risiko“. Übersetzt heißt das soviel wie "mögen die Wurzeln gut anwachsen“. Was ja auch das von uns übernommene Risiko in sich birgt.

Sei also zum Abschluss eine Bitte an unsere liebenswürdigen, gastfreundlichen griechischen Nachbarn und Mitbürger gestattet: Egal, ob ihr Sotiris, Dimitris oder Niko heißt ­ rettet bitte eure Kultur, erzählt euren Kindern und auch uns von euren Irrfahrten. Bitte bleibt euch treu ­ was im übrigen ja auch für Restaurants anderer Nationalitäten gelten sollte. Und, liebe griechische Gastgeber, kultiviert und bewahrt euch doch bitte eure schmackhafte bäuerliche Küche mit den vielen, vielen Vorspeisen, mit Fisch und Ofengerichten! Das einzige Risiko wird sein, eure Gäste von einer leicht erneuerten Speisekarte zu überzeugen ­ aber mit eurem Charme wird auch das gelingen!

 

 

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